Coconut Beach, Coconut Prison: Südvietnam

15 11 2013

Als ich in Mui Ne, einem Küstenort in Südvietnam, aus dem Bus steige, schimmert das Meer in der Abendsonne, die Palmen wiegen sich in der leichten Brise, seafoodrestaurants säumen die Strasse und mein Hotel hat die verheißungsvolle Adresse coconut Beach. 

Seafoodrestaurants in Mui Ne  

Die Fahrt war anstrengend und ich gehe früh zu Bett, am nächsten Morgen bin ich schon bei Sonnenaufgang putzmunter und sehe den Fischern bei der Arbeit zu. Sie tragen Gurte um den Bauch, haken ich am Netz fest und stemmen sich mit aller Kraft dagegen. Dann wird der Haken umgesetzt und weiter geht’s. Endlich haben sie das  grosse halbkreisförmige Netz soweit herangezogen, dass nur noch eine kleine runde Fläche übrig ist. Der Fang dieses Morgens. Körbeweise schöpfen sie an Land, was im Netz ist, und das sind hauptsächlich Quallen. Die Beute wird auf den Strand gekippt, aussortiert, und die Reste trocknen in der Sonne. 

 

 

Die Fischer ziehen das Netz an den Strand 

 

 Sie begutachten den Fang

 

Später beobachte ich die Muschelfischer – oder sollte ich besser sagen: Muschelsucher? Sie stehen im knietiefen Wasser, ziehen einen halboffenen Drahtkasten, der vorne gezackt ist wie ein Rechen, durch den Sand, und sobald er voll ist, halten sie ihn in die Brandung. Das Meer spült den Sand weg, übrig bleiben die Muscheln, die sie mit einem Griff in das Netz katapultieren, das am Kasten hängt. 

Nun weiss ich, wie die Fische und die Muscheln auf meinen Teller kommen, doch in dem Restaurant, wo ich mich an Jakobsmuscheln labe, gibt es auch merkwürdige Dinge auf der Speisekarte. Frösche, Schildkröten und Kobra.

Mui Ne wird vom Reiseführer als ein idyllisches Fischerdörfchen beschrieben  – oder habe ich womöglich die Zeilen über vermehrte Bautätigkeit, Pauschaltouristen und die vielen Russen überlesen? Ebenso wie die Seiten übers Wetter, auf denen schwarz auf weiß steht, dass im November in Zentralvietnam Taifunsaison ist? Hatte ich nicht ursprünglich vor, erst nach Laos und dann nach Vietnam zu fahren, aus genau diesem Grund? Aber ich bin ja gar nicht mehr in Zentralvietnam, sondern in Südvietnam, also ruhig Blut, sage ich mir.

Wir Mitteleuropäer sind keine Taifune gewöhnt, und da kriegt man schon mal Muffensausen, wenn sich die Unwetterwarnungen überschlagen, „Haijian“ auf den Philippinen ganze Landstriche verwüstet und tausende von Menschen ums Leben kommen. Nachdem mein Hotelnachbar mich auf das drohende Unwetter hingewiesen hat, verbringe ich die halbe Nacht vor dem Fernseher, bei CNN. Was, wenn der Taifun seine Richtung ändert und doch im Süden Vietnams aufs Festland trifft? Meine Unterkunft liegt etwa 20 Meter vom Meer entfernt. Die Bilder des Tsunamis vor einigen Jahren fallen mir wieder ein. Soll ich nicht doch besser verduften? Aber ich bin schon mal vor dem drohenden Taifun ins Landesinnere geflüchtet…

Nach dem Taifun ist vor dem Taifun… 

Dann trudeln Mails ein: Bring dich in Sicherheit! Neue Nachrichten in der Glotze: der Taifun hat seine Richtung verändert, nicht mehr Nordwest, sondern West. Immer wieder falte ich die Vietnamkarte auseinander, rechne die Entfernung aus, betrachte die Wettergraphiken. Die vietnamesische Regierung beginnt mit der Evakuierung der bedrohten Region. 

Vorsichtshalber trage ich mich auf der Krisenliste des auswärtigen Amtes ein, damit sie mich dann wenigstens vermissen. Ich soll auch meine Krankenkasse angeben, für den Fall des Rücktransportes. 

Ich reise nicht überstürzt ab, sondern warte zu und tausche mich mit mit anderen Travellern aus. Die sind auch beunruhigt, beobachten die Lage, mahnen aber zur Vernunft. Hier ist nicht Zentralvietnam. Der Taifun soll 800km nördlich auftreffen. Dann spreche ich die Leute vom Hotel an.Taifun? Welcher Taifun?, sagt die junge Frau, die mir immer die Mangopfannekuchen und den köstlichen Kaffee serviert. Taifune gibt’s hier nicht, sagt sie. Nur in Zentralvietnam. Hier gibts höchstens Regen. 

Am Abend vor dem Termin regnet es in Strömen, innerhalb von einer halben Stunde stehen die Strassen unter Wasser. Ob es jetzt losgeht? Zum Flüchten ist es zu spät. Ob der Bus morgen überhaupt fahren wird? Doch das Gewitter zieht vorbei, und nach einer Stunde ist das Regenwasser wieder abgeflossen. Die Nacht bleibt ruhig. Am nächsten Tag fahre ich dann wie geplant mit dem Bus weiter nach Saigon, das hier nur Ho-Chi-Minh-City heißt. Der Taifun, hört man, habe sich abgeschwächt und Vietnam nur noch als Tropensturm erreicht. 

In Saigon bleibe ich nur eine Nacht. Gleich am nächsten Morgen geht es ab zum Flughafen und jetzt will ich endlich die tropische Idylle – und auf Phu Quoc Island gibt es sie noch. Ich beziehe ein einfaches Zimmer in einem Resort – und das ist der Weg zum Strand:

 

 Viet Thanh Resort auf Phu Quoc Island 

Über dem Bett hängt ein Moskitonetz – das erste der Reise. In Anbetracht der vielen Luftlöcher über den Fenstern und im Bad bin ich froh darüber und schlafe wunderbar! Obwohl die Küste von Vietnam 1200 Kilometer lang ist, sind hier auf Phu Quoc Island die einzigen Strände, an denen man den Sonnenuntergang genießen kann – und das tue ich dann auch jeden Abend. Bei einem Papayashake, einem Saigon Green (Bier) oder einem frischen Fisch vom Grill, barfuß, mit Wellenrauschen und amerikanischer Hippiemusik im Ohr. Tagsüber kann man wunderbar auf den Liegen im Schatten rumhängen, Kaffee schlürfen, aufs Meer gucken, was lesen. Und sich einen Sonnenbrand holen. Im Schatten. So ist es schon bald vorbei mit dem süßen Nichtstun und ich mache mich mit Faktor 30, langarmigem Shirt, Sonnenbrillle und Sonnenschirm auf den Weg, die Insel zu erkunden. 

 

Tempelchen am Strand 

 

Mittagsschläfchen am Straßenrand

Tags drauf ist dann Schluss mit lustig. Ich habe mich zu einer Inselrundfahrt angemeldet, und neben einer Pfefferfarm, einer Fischsossenfabrik, einem dicken bunten Buddha und einigen anderen Attraktionen steht auch ein Besuch in coconut prison auf dem Programm, den Resten eines großen Gefängniskomplexes, der zuerst von den Franzosen, dann von den Amerikanern genutzt wurde. Schreckliche Fotos, doch noch schrecklicher sind die nachgestellten Szenen. In Vietnam ist der Krieg noch lange nicht vergessen. Auch die berüchtigten „Tigerkäfige“, in die Amis die gefangenen Vietcong gesperrt haben, sind hier nachgebaut. Ich hatte davon gehört, war dann aber doch schockiert zu sehen, dass sie kaum 50 cm hoch waren, Käfige für Menschen. In coconut prison waren 14 000 Gefangene. 

In Südvietnam wird man viel stärker mit dem Krieg  und seinen Folgen konfrontiert. Als ich nach ein paar Tagen wieder nach Saigon fahre, weist selbst der Taxifahrer auf das „war remnants Museum“ hin, in dem die Brutalitäten und Massaker der Amerikaner dokumentiert werden.  Zum Beispiel waterboarding, das ja immer noch praktiziert wird. Im Aussengelände des Museums werden jede Menge Hubschrauber, Panzer, Aufklärer und andere schwere Gerätschaften ausgestellt. Plötzlich stehe ich vor einem Panzer, der damals hier im Einsatz war, einer von 400 dieses Typs. Oder vor einem der der riesigen Transportflugzeuge, die mir aus Filmen bekannt vorkommen, aus „Apocalypse now “

Vor der Post sitzt ein verkrüppelter Mann und bettelt, mit einem Schild in der Hand: I was Agent Orange.

In Saigon weht ein rauerer Wind als in Hanoi. Überall wird vor Motorradbanden gewarnt, die Touristen die Tasche von der Schulter reißen – und im travellerforum diskutiert man, ob die vermehrte Kriminalität mit der Armut zu tun hat oder mit der Haltung der Gesellschaft zu Kriminalität. Schliesslich wird ja nicht in jedem armen Land geklaut. Inzwischen gehe ich ohne Geldgurt nicht mehr aus dem Haus. Selbst an der Tür des Hotelzimmers, das bei auf der Internetseite, über die ich gebucht habe, als „wirklich sicher“ bezeichnet wird, hängt eine Warnung. 

Vierjährige werden nachts zum Verkaufen von Armbändern in die Cafés geschickt, Mütter schieben ihre missgebildeten Kinder auf Karren durch  die Stadt, viele Krüppel sind unterwegs und verhökern Reiseführer. Aufgebretzelte junge Asiatinnen spazieren Hand in Hand mit alten westlichen Männern, die sich anziehen wie Zwanzigjährige. 

 Und ich wurde noch nie so oft übers Ohr gehauen wie hier. 

Aber es ist schön, am Saigonriver spazieren zu gehen. Saigon ist eine aufregende Stadt. Die Post wurde von Gustave Eiffel gebaut ( ja genau, der mit dem Eiffelturm!), die Kathedrale daneben sieht aus wie direkt aus der Normandie importiert. Notre Dame de Saigon. In der Oper wird die Zauberflöte gegeben. Über der Strasse, direkt vor einem supermodernen Hochhaus, prangt Ho Chi Minh, der Onkel, wie er hier genannt wird.

 

Strassenszene in Ho-Chi-Minh-City 

Er ist allgegenwärtig und wird verehrt wie ein Gott, schliesslich hat er Vietnam von der Kolonialaherrschaft der Franzosen befreit. Hier werden überhaupt eher Menschen verehrt als Götter, jedenfalls nicht der eine Gott wie im Christentum. Schon in China haben mich die Altäre für Konfuzius irritiert, und hier huldigt man seinen Ahnen. Man kann doch nicht Menschen zu Gott machen, will ich innerlich protestieren. (Aus der Kirche ausgetreten oder nicht – zwanzig Jahre katholische Erziehung lassen sich nicht einfach so vom Tisch wischen!) Und was ist mit Jesus? War der vielleicht kein Mensch?, meldet sich da eine weitere Stimme. 

Ho-ho-ho-chi-Minh – das war eine Parole auf den Demos meiner Jugend. Obwohl ich nicht viel über Ho wusste, habe ich laut mitgebrüllt. Heute ist Vietnam das Land, aus dem unsere T-Shirts kommen. Die Container in der Schiffahrt haben es möglich gemacht, dass der Transport nur wenige Cent kostet. Vietnam. Für viele Menschen noch immer wie eine große Wunde. Mit Schuld verbunden. Und Vietnam zeigt jetzt diese Wunde. Die Geste wirkt aggressiv. Wer hier reist, kann nicht darüber hinwegsehen. Ich habe die Cu-Chi-Tunnel nicht besichtigt, nicht einmal die Hospital Cave auf Cat Ba Island, und dass von dort die boat-People flüchteten, habe ich auch erst später zur Kenntnis genommen. Das war zur Zeit des kalten Kriegs, als man schon als hilfsbedürftig galt, wenn man aus einem kommunistischen Land kam. In Haiphong, wo ich auf den Bus nach Hanoi gewartet habe, nahm der Indochinakrieg seinen Anfang. Am 17.  Breitengrad, von dem ich nur knapp entfernt war, verlief die Grenze zwischen Nord – und Südvietnam. Aus  Hue, das ich wegen der ersten Taifunwarnung nicht besucht habe, kamen die Berichte über den Vietnamkrieg. 

Mein Hotel ist modern und blitzeblank. Die Jungs, die die Zimmer putzen, schlafen im ersten Stock auf dem nackten Boden, vielleicht mit einer Decke als Unterlage. Auch der junge Mann von der Rezeption, der gutes Englisch spricht und mir zur Begrüßung Wassermelonen kredenzt hat, schläft hinter dem Empfangstresen auf dem nackten Boden. 

Morgen, am 17.  November, fahre ich dann ins Mekongdelta und von dort per Schiff nach Kambodscha, nach Phnom Penh. 

Mein Visum für Vietnam läuft ab und ich hoffe, dass Kambodscha ruhiger und friedlicher ist. Aber die Geschichte Kambodschas hat es auch in sich… 



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2 Antworten zu “Coconut Beach, Coconut Prison: Südvietnam”

  • Mathias sagt:

    Guten Morgen Bettina,
    schön wieder einen weiteren Deiner Reiseberichte zu lesen. Ich danke Dir!
    Es klingt alles so spannend und nah, als erzähltest Du die Geschichten vis-à-vis beim Einkaufen auf dem Markt.
    Ich wünsche Dir weiterhin alles Gute, viele spannende Erlebnisse und bleib gesund! Liebe Grüße Mathias

  • Marita Waibel sagt:

    Liebe Bettina,

    ich verschlinge deine Nachrichten aus einer anderen Welt und bin wirklich beeindruckt von deinen Schilderungen. Manchmal stockt mir der Atem und manchmal kann ich das Meer riechen. Dann sitze ich mit dir am Strand, esse Fisch und genieße den Sonnenuntergang. Danke für deinen Mut!
    Liebste Grüße Marita

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